Die Leitlinie unseres Handelns und Denkens im Zeitalter der Machbarkeit lautet: Ziele setzen, hart arbeiten, konzentriertes Bemühen, um unsere Lebenspläne zu verwirklichen. Und die Erfahrung lehrt uns, dass wir damit in vielen Bereichen des Lebens weit kommen können.
Ob sich diese Leitlinie auch für den Kinderwunsch und seine Behandlung anwenden lässt?
Oder es aber ratsam erscheint, sich an den Vorgehensweisen von Gärtnern zu orientieren?
Dort wie im Bereich von Sexualität und Zeugung gilt eine andere „Leitlinie“: hier entsteht etwas aus dem geglückten Zusammenspiel mehrerer Umstände. Zum Beispiel ergibt sich etwas aus einer Stimmung. Freilich kann man auch hier probieren, gezielt und konzentriert zu „arbeiten“, so wie Siegbert, der sich genau überlegte, wie er bei Sieglinde landen wollte. Für ihn war klar: er musste die richtige „Stimmung“ erzeugen. Daher plante er, Sieglinde zum Abendessen in ein gemütliches Lokal einzuladen, mit Tischkerze. Dort wollte er darauf achten, dass sie nicht zu wenig von dem kostbaren Getränk, das er servieren ließ, zu sich nähme, und er wollte sie mit Schmeicheleien und Komplimenten umgarnen. In der weiteren Folge würde sich dann wohl … nein, es müsste sich ergeben, dass Sieglinde, derart in Stimmung gebracht, bereit sein werde, mit ihm eine leidenschaftliche Nacht zu verbringen. Ich überlasse es der geschätzten Damenwelt, die Erfolgsaussichten dieses planvollen und gezielten Bemühens zu beurteilen.
Ein Dilemma?
Was heißt dies nun für Paare, die sich aufgrund unerfüllten Kinderwunsches behandeln lassen? Sie befinden sich in einer Zwickmühle, denn sie brauchen zunächst den Mut und die Entschlossenheit, sich einer reproduktionsmedizinischen Behandlung zu unterziehen, mit der dazu gehörenden Verabreichung von Spritzen, der Punktion der Eizellen, der pünktlichen Samenabgabe und der steten Ungewissheit, was bei all diesen Schritten herauskommen wird. Da in der Behandlung ein Vorgehen nach Plan erfolgt, entsteht leicht der Eindruck, die Erfüllung des Kinderwunsches sei ebenso „machbar“ wie andere Lebensprojekte. Die Erfolgszahlen der Reproduktionsmedizin tun ihr übriges, diesen Eindruck zu verstärken. Dem gegenüber steht das Grundprinzip von Sexualität und Zeugung, dass sich etwas wie von selbst ergibt und spontan entsteht. Wie aber soll das mit dem planmäßigen Vorgehen der Behandlung vereinbar sein, das den Paaren viel konzentriertes Bemühen abfordert? Ein Dilemma ohne Ausweg?
Ein Fenster wird geöffnet
Klar ist, dass ein Paar mit Beginn der Kinderwunschbehandlung vitale Impulse setzt, die Leben entstehen lassen können und das Leben des Paars grundlegend verändern können. Ein Paar eröffnet damit ein Fenster für ein Ungeborenes, nicht mehr und nicht weniger. Der Zeitpunkt ist jeweils einmalig, da er sich im selben Alter und in derselben Jahreszeit niemals wiederholen lässt. Was durch das Öffnen des Fensters entstehen wird, ist völlig offen. Sollten nun in dem Fenster Kinderspielzeug und Schokoladenstängelchen aufgestellt werden, als Lockmittel für das Ungeborene? Oder ihm gar heftig zugewunken werden, damit es „kommen muss“? Vorsicht, denn die Enttäuschung könnte groß sein, wenn all dieses intensive Bemühen nicht fruchtet! So wie es Siegbert ergeht, wenn Sieglinde am Ende des Abendessens bei Kerzenschein verkündet, dass sie nun müde sei und ihren Gesundheitsschlaf ersehne …
Von Gärtnern lernen
Vitale Impulse setzen auch Gärtner, mit ihren Pflänzchen und Samen, die sie in der Folge hegen und pflegen, um sie zum Wachstum anzuregen. Da wird gegossen, gedüngt, gemulcht, um beste Bedingungen zu schaffen, doch unentwegtes Nachschauen, ob schon etwas wächst, ist wenig sinnvoll. Zwischen den Pflegeimpulsen überlassen sie den Garten sich selbst und wenden sich anderem zu, denn erfahrene Gärtner wissen: es gilt, sich überraschen zu lassen, wann was wächst! Mit dieser demütigen Haltung gelingt es ihnen, Mindererträge oder Ausfälle wegzustecken und weitere vitale Impulse zu setzen.
Die Gärtner sind die Leiter ihrer Pflanzprojekte – mit ungewissem Ausgang. Die Paare sind die Leiter ihres Kinderwunschprojektes. Aus der Projektforschung weiß man: ein vertrauensvolles Zusammenspiel der Projektpartner gibt einem Team die nötige Stärke. Mit der Idee des „geöffneten Fensters“ im Hintergrund kann ein Paar ein einfaches Ritual anwenden, um die Zeit der Kinderwunschbehandlung für sich ruhiger zu gestalten: zum Abschluss des Tages einander gegenüber stehen, jeder legt eine Hand aufs Herz und reicht die andere Hand dem Partner, schweigend. Dies kann in eine weitere Geste münden wie eine Umarmung oder aber einen Händedruck, der besagt: Wir tun unser Bestes! Und damit ist der Garten gegossen.
Gärtnern und die Kinderwunschbehandlung haben noch etwas gemeinsam: Sie leiten einen kreativen Prozess ein. Was aber wissen wir von Menschen in sogenannten kreativen Berufen? Vor allem, dass kreatives Schaffen auf Kommando nicht oder nur schlecht gelingt. Ganz anders aber, wenn sie die Möglichkeit haben, in eine Stimmung zu gelangen, in der kreative Ideen wie von selbst entstehen. Wie lässt sich das aufs Kinderwunsch-Projekt übertragen? Geht es darum, „sich in Stimmung fürs Baby zu versetzen“?
Diesen Weg der gewollten Erzeugung einer Stimmung haben wir bereits bei Siegbert und Sieglinde kennengelernt, und zwar als nicht empfehlenswert. Ganz anders aber, sobald es sich um eine Stimmung dreht, in der es einem als Paar gut geht. Wohlgemerkt: ohne den Hintergedanken, damit eine Schwangerschaft bewirken zu können! Also nicht als Instrument für eine andere Absicht, sondern als etwas, das ein Paar verdient hat, das sich den Herausforderungen des Kinderwunschprojektes stellt. Womöglich geht es bei dieser Art von Stimmung lediglich darum, sich schweigend zu halten in dem Bewusstsein, dass es nicht selbstverständlich ist, diese Momente der Zweisamkeit miteinander erleben zu können. Oder irgendeiner Aktivität nachzugehen, alleine oder zu zweit, die Momente der Ruhe entstehen lässt und beschert. All das trägt dazu bei, dass der Garten gut bestellt wird und etwas entstehen kann, ohne zu müssen.
Links:
» Unerfüllter Kinderwunsch – Psychologische Hilfe
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