Fruchtbarkeitserhaltende Maßnahmen vor der Behandlung einer schweren Erkrankung wie Krebs, werden in unserer Gesellschaft immer wichtiger. Dafür gibt es mehrere Gründe. So sind die Heilungsraten dieser Erkrankungen dank modernster und verbesserter Therapien gestiegen. Durch die effektive Bekämpfung von Krebszellen werden häufig die Eierstöcke und Hoden geschädigt (Gonadotoxizität). Aber auch das Alter der Erstgebärenden steigt seit Jahrzehnten an und viele Männer und Frauen haben zum Zeitpunkt der Diagnose einer schweren Erkrankung noch nicht mit der Familienplanung begonnen, oder haben sie noch nicht abgeschlossen.
Mit schweren Erkrankungen sind in erster Linie Krebserkrankungen gemeint, aber auch rheumatische Erkrankungen, wie z.B. der systemische Lupus erythematodes (SLE) fallen darunter. Es gibt auch andere Diagnosen bei denen es sinnvoll ist, über einen vorsorglichen Erhalt der Fruchtbarkeit zu sprechen (z.B. beim Turner-Syndrom).
Richtiges Handeln nach gestellter Diagnose
Die Diagnose einer Krebserkrankung versetzt die beteiligten Menschen immer in eine Ausnahmesituation. Schnell möchte man handeln und mit der lebensrettenden Therapie starten, davon sind wir Ärzte und das onkologische Team (sog. Tumorboard = Team aus verschiedenen Spezialisten wie Chirurgen, Onkologen und Strahlentherapeuten) nicht ausgenommen. Bei einigen akuten Krebsformen muss tatsächlich sofort gehandelt werden. Bei anderen sollte das onkologische Team kurz auf die „Pause Taste“ drücken und folgende Fragen mit den Betroffenen diskutieren:
- Wie hoch ist die Heilungsrate?
- Wie alt bin ich dann?
- Wie hoch ist das Risiko, dass die Eierstöcke/der Hoden nach der Therapie ihre Funktion vollständig verloren haben?
- Möchte ich Kinder haben?
- Möchte ich weitere Kinder haben?
In der Phase zwischen erster Diagnose und Therapiebeginn, wenn Untersuchungen laufen, das Stadium (Ausdehnung und Verhalten eines Tumors) bestimmt wird und die Therapie im Tumorboard festgelegt wird, sollte Zeit für solche Überlegungen sein.
Welche Maßnahmen sind heute möglich, um die Fruchtbarkeit zu erhalten?
Bei Männern wird das gewonnene Ejakulat aufbereitet und jeweils in kleineren Teilen eingefroren. Je nach Spermiogramm-Befund ist es sinnvoll, 2-3 Mal zur Samenabgabe zu gehen, was sich selbst bei sehr akuten Situationen organisieren lässt. Der Prozess des Einfrierens und Auftauens, sowie die Lagerungsdauer haben keinen negativen Einfluss auf die Qualität und Entwicklungsfähigkeit der Spermien.
Für Frauen gibt es mehrere Optionen:
Die Eierstöcke künstlich in die Wechseljahre versetzen
Alle 4-12 Wochen wird eine Spritze gesetzt, welche die Aktivität der Eierstöcke über einen zentralen Mechanismus hemmt. Die Annahme ist, dass durch die reduzierte Durchblutung der Eierstöcke ein gewisser Schutz vor schädigenden Substanzen besteht. Diese Maßnahme kann bei allen Formen der Protektion angewendet werden. Sie wirkt sofort nach 2-5 Tagen, und wird bis zum Ende der Behandlung aufrechterhalten.
Eizell- und Embryonen-Vorsorge
Eine hormonelle Behandlung lässt mehrere Eibläschen (Follikel) gleichzeitig wachsen. Im Rahmen eines kleinen Eingriffs (Follikel-Punktion) werden die Eizellen vaginal entnommen und eingefroren (kryokonserviert), oder mit dem Samen des Partners befruchtet (IVF/ICSI) und als Embryo eingefroren. Diese Maßnahme benötigt einen Zeitraum von 12-14 Tagen und ist nicht bei jeder Krebserkrankung zu empfehlen. Die Kryokonservierung der Zellen ist ohne Qualitätsverlust möglich. Die Lagerungsdauer hängt von der jeweiligen Gesetzeslage ab.
Entnahme und Einfrieren von Gewebe des Eierstocks
Mit einer sogenannten „Knopfloch“ Operation (Bauchspiegelung oder Laparoskopie) wird einseitig ein Teilstück des Eierstocks entnommen, in kleinen Segmenten eingefroren, und nach der Heilung wieder zurückgepflanzt. Laut aktueller Datenlage sind mit dieser Methode weltweit 130 Geburten zu verzeichnen, bei einer Geburtenrate von 30-35%. Der zeitliche Aufwand ist gering, jedoch ist eine Operation mit Narkose notwendig, und niemand kann mit Gewissheit sagen, ob die zurückgesetzten Gewebestücke wieder ihre ursprüngliche Funktion und Aktivität aufnehmen. Bei einigen Tumorerkrankungen ist diese Maßnahme nicht geeignet, da es möglich sein kann, dass sich bereits Tumorzellen in dem Gewebe befinden.
Die Eierstöcke aus dem Bestrahlungsfeld verlagern
Sollte eine Strahlenbehandlung im Beckenbereich notwendig sein, kann durch eine Bauchspiegelung (s.o.) einer Hochlagerung der Eierstöcke durchgeführt werden. So werden diese Eierstöcke aus dem Bestrahlungsfeld herausgenommen und können häufig ihre Funktion erhalten. Sollte eine Schwangerschaft angestrebt werden, müssen die Eierstöcke wieder an ihren natürlichen Ort zurückverlagert werden.
„Pause Taste“ für ausführliche Beratung und Therapieplanung
Welche Maßnahmen sinnvoll und machbar sind, ist abhängig von der individuellen Situation und kann nur nach einer Beratung festgestellt werden. Für eine Beratung von ca. 2 Stunden sollte es möglich sein, die „Pause Taste“ zu drücken.
Ein neuer Gesetzesbeschluss in Deutschland von Mai 2019 hat festgelegt, dass die Kosten für fruchtbarkeitserhaltende Maßnahmen für Patienten mit Krebs in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen fallen. Patienten, die auf solch eine Versorgung nicht bauen können, werden aber dann von vielen IVF Zentren in Punkto Kosten unterstützt.
Der Verein FertiPROTEKT e.V., ein Zusammenschluss von Ärzten und Biologen dem auch wir in unserem IVF-Zentrum angehören, hat sich zur Aufgabe gemacht, das Thema Fertilitätserhalt als Netzwerk von Zentren auf eine fachlich solide Basis zu stellen. Es werden Empfehlungen und Standards für Beratungs- und Therapieoptionen abgestimmt, es werden wissenschaftliche Studien initiiert und Forschung betrieben, und es wird versucht die Sensibilität für dieses Thema im Sinne der Patienten in der Gesellschaft zu erhöhen.
Links:
» FertiPROTEKT e.V.
(Webseite | https://fertiprotekt.com)
» Eizellen vorsorglich einfrieren – Unterschiedliche Beweggründe / Unterschiedliche Regelungen
(Beitrag| http://www.kinderwunsch-blog.com)
(Startseite | http://www.kinderwunsch-blog.com)
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